Neurophysiologie - Schmerz

In der neurologischen elektrophysiologischen Diagnostik werden Funktionsstörungen der motorischen und sensiblen Nervenfasern erfasst. Das sensorische System wird in der Routine-Diagnostik mit somatosensorisch-evozierten Potentialen (SEP) gemessen. Hierzu wird ein elektrischer Reiz mit einem im Hintergrund laufenden Elektroenzephalogramm (EEG) synchronisiert und das hierdurch entstehende Potential hinsichtlich Latenz (Dauer) und Amplitude (Signalstärke) analysiert.

Durch die SEP können ausschließlich dick-myelinisierte Nervenfasern (A-Betafasern) gemessen werden, welche lediglich 20% des sensorischen Nervensystems ausmachen. Die verbleibenden 80% setzen sich aus unterschiedlichen Nervenfasersubklassen von nicht- und dünn-myelinisierten Nervenfasern zusammen. Funktionsstörungen der sog. Smallfiber entgehen der neurologischen elektrophysiologischen Standarddiagnostik.

Für unterschiedliche sensorische Empfindungen erhält das Gehirn unterschiedlichen sensorischen Input. Beispielsweise werden Kalt-Reize über Kälte-sensible A-delta-Fasern übermittelt, schmerzhafte Hitzereize über Hitze-sensible A-delta-Fasern (AMH II-Fasern), mechanische Schmerzreize über mechano-sensible A-Delta-Fasern (AMH I-Fasern), Wärme hingegen über nicht-myelinisierte C-Fasern.

Die bisher routinemäßig eingesetzten SEPs stimulieren aufgrund Ihrer fehlenden Spezifität nahezu alle Nervenfaser-Subgruppen gleichzeitig, so dass in der EEG-Ableitung nur der stärkste und schnellste Reiz (Gate-Control-Therapie, First-come-first-serve-Hypothese), in Form eines A-Betafaser-vermittelten Potentials sichtbar wird.

Neue genauere und spezifische Untersuchungsmethoden für eine vollständige Erfassung der Integrität des somatosensorischen Systems werden dringend benötigt, um Erkrankungen mit Funktionsstörungen des sensorischen Systems früh zu erkennen und Therapien rechtzeitig einzuleiten. Erkrankungen des Nervensystems, für welche eine Früherkennung das klinische Outcome entscheidend verbessern kann sind beispielsweise die diabetische Polyneuropathie, Radikulopathien oder entzündliche demyelinisierende Erkrankungen.

 

 

Sektion Neurologische Schmerzforschung und -therapie

Arbeitsgruppen der Neurologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

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